Konkurrenz belebt das Geschäft
FranKFurter Allgemeine Zeitung
14 September 2024Neue Messe, altes Personal: Zur Viennacontemporary tritt die Particolare
Von Nicole Scheyerer, Wien
Photo: Andrey Gordasevich
Endlich wieder genug Platz! So lautet der Tenor der Galerien auf der diesjährigen Viennacontemporary, die bis Sonntag am Wiener Messegelände nahe dem Riesenrad stattfindet. In den letzten zwei Jahren bot der Kursalon im Stadtpark der Messe zwar Belle Époque-Charme, aber nur wenig Raum. Der aktuelle Ort weckt Erinnerungen: Vor zwanzig Jahren wurde auf diesem Gelände mit der Viennafair Österreichs erste internationale Messe für zeitgenössische Kunst abgehalten. Seither hat der 2015 als Viennacontemporary gegründete Verkaufsevent zahlreiche Eigentümer- und Ortswechsel erlebt – eine Achterbahnfahrt, um im Bild des benachbarten Praters zu bleiben. Auch politische Konflikte sorgten für Turbulenzen, etwa 2022, als ihr größter Gesellschafter, der russische Unternehmer Dmitry Aksenov, wegen des Ukrainekriegs ausschied.
Zur allgemeinen Überraschung tauchte der Name des Immobilienentwicklers im Juni im Zusammenhang mit einer neuen Kunstmesse wieder auf. Unter dem Namen Particolare – eine Referenz auf ein Werk des Arte-Povera-Künstlers Giovanni Anselmo – sind dieser Tage fünfzig Werke in einer Verkaufsausstellung im frei gewordenen Kursalon versammelt. Als Veranstalter firmiert die von Aksenov gegründete Non-Profit-Organisation CultTech. „Wir hinterfragen die Grenzen konventioneller Kunstmessen und bringen Technologie ins Spiel“, erklärt der CultTech- CEO Marc Brandsma. Im Rahmen des Events, der nun doch eher ein Kunstsalon als eine Messe sein möchte, finden zudem Konzerte, Tanzperformances und Gesprächsrunden statt. Für die beteiligten 25 Galerien (darunter Kaliber wie Marian Goodman, Pace oder Lisson) birgt die Teilnahme kein Risiko: Sie zahlen weder Transport- noch Standkosten; lediglich bei Verkauf gehen zwanzig Prozent Provision an die Veranstalter.
Mehrere Kuratoren hatten bei der Particolare ihre Finger im Spiel, etwa Thomas Hug, Ex-Direktor der Genfer Kunstmesse Art Genève. Das Messethema „Zeit und Bewegung“ lässt so gut wie jeden Beitrag zu, die Auswahl an Werken im fünf- bis sechsstelligen Preisbereich wirkt bunt zusammengewürfelt. Aus der Turiner Galerie Giorgio Persano stammt ein Spiegeltriptychon von Michelangelo Pistoletto, das eine Frau in drei Posen am Handy zeigt und zwei Millionen Euro kostet. Die kinetische Skulptur „Flying Tape“ von Zilvinas Kempinas aus der Wiener Galerie Frey ist für 75.000 Euro zu haben. Aufwand scheuten die Particolare-Veranstalter nicht: Mehr als eine Tonne wiegt Alicja Kwades Skulptur „Amáss“ von der Pariser Galerie Mennour. Beige Betonblöcke hat die Künstlerin darin mit Kupferformen verzahnt, die an Blasinstrumente denken lassen. Die amüsanteste Installation der Particolare läuft außer Konkurrenz, ist also „unverkäuflich“: Der belgische Künstler Wim Delvoye hat in „L’ordre des choses“ an der Wand eine Kugelbahn installiert, bei der die Kugeln durch Repliken kunsthistorischer Werke zischen. Und Technologie auf der Messe? Eine Enttäuschung. Bis auf ein Projekt des französischen Designstudios U2P050, das im Netz künstliche Kuratoren-Intelligenzen in Konversation bringt, hat die Particolare nichts Innovatives zu bieten.
Zurück also zur Viennacontemporary, die in diesem Jahr ohne Kronleuchter und Parkblick auskommen muss. Dafür ist das Angebot mit knapp hundert Galerien aus 24 Ländern so groß wie noch nie. Die britische Messeleiterin Francesca Gavin zählt 18 neue Galerien, allerdings handelt es sich dabei um zahlreiche Wiederkehrer. Auffallend viele Debütanten aus Italien sind angereist, unter ihnen die Mailänder Galerie Zero, deren Gründer Paolo Zani zum Zulassungskomitee zählt. „Jetzt“ titelt eine große Wandarbeit aus Aluminium und Holz des Wiener Künstlers Hans Schabus (25.000 Euro). Kuben in irisierenden Farben ziehen am Stand der Galerie Pinksummer aus Genua die Blicke an. Die modulhafte Skulptur von Tomás Saraceno kostet 44.000 Euro; die Spinnweben, die der Argentinier mit Gold fixiert und in Glasboxen verewigt, liegen zwischen 12.000 und 17.000 Euro.
Aus Deutschland sind bei der diesjährigen Ausgabe nur sechs Galerien vertreten, darunter Kai Middendorff aus Frankfurt. Zu den technoiden Kleinskulpturen des 2010 verstorbenen Bildhauers Bruno Gironcoli gesellen sich neue Werke von dessen Frau Christine Gironcoli. Nach jahrelanger Arbeit als Restauratorin hat die studierte Malerin begonnen, Bildobjekte aus alten Leinwänden voller Patina und Spuren zu kreieren. Humor vom Kaliber eines Martin Kippenbergers hat die Berliner Galerie Janizewski mit Arbeiten von Nicholas Warburg zu bieten. „Wann stirbt die Menschheit endlich aus?“, fragt der 1992 geborene Städelschul-Absolvent auf einem Schriftbild; daneben hängt ein Aktgemälde, das den Regisseur Rainer Werner Fassbinder zeigt, im verwischten Stil von Malerstar Gerhard Richter.
In der ZONE1, deren Solostände zehn Kunstschaffenden unter vierzig Jahren gewidmet sind, faszinieren bei der Wiener Galerie Hilger die Wandobjekte von Noushin Redjaian. Aus alten Perserteppichen hat sie tropfenförmige Stücke geschnitten und auf diesen mit Kalium-Aluminiumsulfat Kristalle wachsen lassen (je 3900 Euro). In der Sektion aufstrebender Teilnehmer ist die Kärntner Galerie 3, die im Frühling eine Filiale in Wien eröffnet hat, mit einem großen Stand vertreten. Dort sind die ökologisch orientierten Collagen der Documenta-12-Teilnehmerin Ines Doujak ausgestellt (ab 3600 Euro), die historisch-medizinische Bilder von Hautkrankheiten mit Pflanzensujets verschmelzen.
Der traditionelle Schwerpunkt auf ost- und südosteuropäische Kunstmärkte ist bei der diesjährigen Viennacontemporary weniger ausgeprägt. Bei der Karpuchina Gallery aus Prag überzeugen die Betonskulpturen der 1996 geborenen Sabina Knetlová, die mit rauen Materialien Poetisches schafft. Insgesamt dürfte die Viennacontemporary nach turbulenten Jahren wieder in ruhigere Gewässer segeln. An der Particolare scheitert es auf alle Fälle nicht: Dem Vernehmen nach hat die neue Konkurrenz ihre eigenen Sammler von Dubai und anderswo hergeholt, was der Viennacontemporary eher mehr Publikum beschert, als Aufmerksamkeit von ihr abzuziehen.